Vielfalt ermöglichen

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für eine widerstandsfähige Landwirtschaft | 4. April 2020 | Von Lea

Ob Corona-Pandemie oder Klimawandel – Krisen kommen vor. Die eine erreicht uns plötzlich und stellt mit unerwarteter Härte unser Leben auf den Kopf. Die andere kündigt sich über Jahrzehnte an und die Veränderungen sind eher schleichend spürbar. Und doch sind die Auswirkungen so drastisch und langfristig, dass insbesondere unsere Landwirtschaft enorm auf die Probe gestellt wird. 

Eines habe ich den letzten Wochen gelernt: Krisen machen uns bewusst, was für unser Leben wirklich wichtig ist. Wir werden daran erinnert, dass unser Gesundheitssystem und unsere Lebensmittelversorgung wohl zu den grundlegendsten Bereichen unserer Gesellschaft gehören. 


Erkenntnis aus der Corona-Krise: Die Regale im Einkaufsladen füllen sich nicht von selbst.

 
Für eine widerstandsfähige Landwirtschaft

Eine widerstandsfähige, resiliente Landwirtschaft heißt, dass trotz drastischer Störungen oder Veränderungen weiter die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt werden kann. Wie können wir diese Widerstandsfähigkeit, diese Resilienz, in der Landwirtschaft fördern? In meinem Blog zur Klimakrise vom Herbst 2019 schrieb ich dazu:

„Es gibt einen maßgeblichen Faktor, der die Resilienz eines Ökosystems und auch eines Agrarsystems beeinflusst. Dieser Faktor heißt Vielfalt. Und unser Agrarsystem hat im Verlauf des letzten Jahrhunderts eine Menge davon eingebüßt: In den Industrieländern in den letzten 100 Jahren bis zu 90%.“

Was ist also, wenn erprobte Sorten plötzlich aufgrund von Klimaveränderungen schlecht abschneiden oder wegen neuen Krankheitserregern ganz ausfallen? Wodurch schließen wir diese Lücke, wenn nur wenige Sorten auf dem Markt sind?

 

Vielfalt auf dem Acker ist unverzichtbar

Die Aufgabe, eine Vielfalt von Sorten für die Landwirtschaft zu erzeugen, übernehmen heute professionelle Pflanzenzüchtungs-Unternehmen. Und diese Aufgabe hat es in sich: Wusstet ihr, dass neue Methoden in der Pflanzenzüchtung im 20. Jahrhundert sogar einen größeren Beitrag zur Intensivierung der Landwirtschaft beigetragen haben als die Nutzung von Pestiziden und Kunstdüngern? 

Heute wollen wir aber nicht mehr nur die Erträge steigern. Widerstandfähigkeit und Nachhaltigkeit werden im Angesicht des Klimawandels immer wichtiger. Hier sind insbesondere im Bereich der ökologischen Pflanzenzüchtung enorme Potentiale zu sehen. Denn neben einer guten Qualität und hohen Erträgen ist ein Ziel der ökologischen Züchtung, dass Sorten an verschiedene Standortbedingungen angepasst sind.

 

Ökologische Pflanzenzüchtung braucht Finanzierung

Leider befindet sich die Pflanzenzüchtung in einem Dilemma: Auf der einen Seite ist Züchtung ein Wirtschaftszweig, dessen Einnahmen über geistige Eigentumsrechte wie dem Sortenschutz oder sogar Patenten gewonnen werden. Viele argumentieren, dass ohne diese Einnahmen aus geistigen Eigentumsrechten der Fortschritt in der Pflanzenzüchtung ausbliebe. 

Auf der anderen Seite ist sie für unsere Gesellschaft wichtig und ein maßgeblicher Faktor für die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel. Es ist ein herber Verlust, wenn Saatgut nur noch wenigen gehört. Die Finanzierung über geistige Eigentumsrechte steht im Widerspruch zur Erschaffung der notwendigen Vielfalt an Kulturpflanzen und ihren Sorten. Insbesondere Patente bremsen den Fortschritt, da sie vor allem für große Konzerne von Vorteil sind und anderen Züchter*innen immer weniger Zuchtmaterial frei zur Verfügung steht.

Einzig im Bereich der ökologischen Pflanzenzüchtung ist es für viele Züchterinnen und Züchter bereits Normalität, ihre Sorten ohne geistige Eigentumsrechte zur Verfügung zu stellen. Sie finanzieren ihre Arbeit stattdessen durch Spenden-, Stiftungsgelder und unbezahlten Überstunden. Der Bedarf der ökologischen Landwirtschaft kann so allerdings nur unzureichend gedeckt werden und die fehlende Finanzierung behindert das Ausschöpfen der Potentiale.


Mit Geduld und Fingerspitzengefühl: Die Öko-Züchter*innen des Dottenfelder Hofs in
Bad Vilbel arbeiten für eine widerstandsfähige Landwirtschaft. 
 

Neue Finanzierungs-Konzepte sind gefragt

Wir brauchen also neue Finanzierungskonzepte, um Saatgut als Gemeingut zu ermöglichen. Das Thema Züchtungsfinanzierung ist daher von Beginn an eines unserer Kernthemen. Und ziemlich genau vor einem Jahr, im Frühjahr 2019, konnten wir einen Meilenstein unserer Arbeit zu diesem Thema verwirklichen. 

Im Bereich der Commons-Forschung wird zurzeit viel experimentiert und ausprobiert. Es werden Fragen bearbeitet, wie Gemeingüter in den verschiedensten Bereichen aufgebaut, gepflegt und finanziert werden können. Wir hatten das Gefühl, dass auch unser Thema von diesem Ideenreichtum und dieser Experimentierfreudigkeit profitieren kann. Die Idee war schnell geboren: Eine Art Think-Tank, ein gemeinsamer, interdisziplinären Workshop, der die zwei Welten Saatgut und Commons-Forschung zusammenbringt. 

Wir durchlebten ein intensives und hochproduktives Wochenende, welches nach einigen Bemühungen zum Finden einer gemeinsamen Sprache reichlich Anstöße gab. Im Februar 2020 konnten wir dann die Ergebnisse des Workshops veröffentlichen in unserem Dikussionspapier: „Vielfalt ermöglichen, Wege zur Finanzierung der ökologischen Pflanzenzüchtung“. 


Gemeinsam Querdenken: Bei unserem Workshop in Frankfurt im April 2019 arbeiteten
15 Saatgut- und Commonsexpert*innen an neuen Ideen für die Pflanzenzüchtung.

 
Im Kleinen beginnen

Für mich waren vor allem viele Inputs der Commons-Expert*innen neu und inspirierend. Eine der Ideen, die auch Einzug in das Papier gefunden hat, ist mir dabei besonders im Bewusstsein geblieben: Die Community-basierte Pflanzenzüchtung.

Die Idee ist unter anderem inspiriert von den Prinzipien der Solidarischen Landwirtschaft. Im Text heißt es:

„Der übergeordnete Gedanke ist, dass mehrere landwirtschaftliche Betriebe einer Region oder eines Naturraums gemeinsam regionale Pflanzenzüchtung betreiben und finanzieren. Ein Ziel ist die Züchtung regionalspezifischer Sorten. Die Entwicklung von Hof- oder Regionalsorten gilt heute als ein viel- versprechender Weg zur Nutzung standortspezifischer Eigenheiten in der Züchtung.“

Das Geniale daran: Eine solche Nutzer*innengemeinschaft kann sich im Grunde jederzeit und überall bilden. Die Idee lässt sich also weitestgehend unabhängig von politischen Rahmenbedingungen in die Tat umzusetzen. Sie ermöglicht, im Kleinen zu beginnen. 

Zusätzlich zur Schaffung von Vielfalt für unserer Landwirtschaft, könnte ein solches Züchtungs-Commons die Pflanzenzüchtung und den Anbau wieder näher zusammenbringen. Die Einbeziehung zusätzlicher regionaler Akteure ist denkbar. Und durch die Möglichkeit der Sortennutzung im Innenverhältnis können Züchtungszeiträume verkürzt und bürokratische Hürden umgangen werden. Alles in allem spricht viel dafür, dieses Konzept in einem Pilotprojekt zu erproben.

Im Diskussionspapier sind dieser und alle weiteren Vorschläge im Detail nachzulesen. Ihr könnt das Papier hier herunterladen. Und wer weiß, womöglich fühlt sich jemand berufen, im Kleinen zu beginnen und mit uns den Versuch zu wagen, eine Community-basierte Züchtung voranzutreiben? Wir strecken unsere Fühler aus.