Open Source: Eine neue Verbindung von Saatgut und Brot

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Kann Saatgut als Gemeingut dazu beitragen, Brot leckerer und gesünder zu machen? | 22. März 2022 | von Adrien und Bella

Seit dem Beginn der Landwirtschaft in der Jungsteinzeit ist Getreide ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Ernährung. Früh wurde so auch Brot in seinen unzähligen Variationen zum Grundnahrungsmittel. Die Erfordernisse der Brotherstellung waren für die Bäuer*innen bald ein wichtiges Kriterium für die Weiterentwicklung von Sorten. So bevorzugten sie bei der Züchtung beispielsweise Getreide, das leichter zu mahlen war und einen Teig lieferte, der sich gut formen ließ. Die Brotherstellung war daher von Anfang an eng mit dem Anbau von Getreide verknüpft.


Gutes Brot ist eine große Leidenschaft von Adrien, dem Autor dieses Artikels

Neue Hochleistungssorten: Verlust von Vielfalt und Nährwert

Seit Tausenden von Jahren wird Saatgut als Gemeingut weitergegeben und auf der ganzen Welt verbreitet. Darunter sind zahllose robuste Getreidesorten mit stabilen Erträgen und hohem Nährwert, aber auch guten Backeigenschaften. In der Nachkriegszeit fand die Züchtung zunehmend getrennt vom Anbau statt. Die rasch vorangetriebene Entwicklung und Verbreitung neuer Hochleistungssorten hat seitdem nicht nur den Getreideanbau, sondern auch das Brot radikal verändert. Die Erträge wurden deutlich gesteigert, und veränderte Backeigenschaften erleichterten eine industrielle Verarbeitung des Brotteigs. Während das Brot im Laufe der Jahre immer heller wurde, nahm gleichzeitig sein Nährwert ab. Auch bei der heute weit verbreiteten Glutenunverträglichkeit wird ein Zusammenhang mit modernen Hochleistungssorten gesehen.

Brotherstellung und Getreidezüchtung sind untrennbar miteinander verbunden und es ist besorgniserregend, wie weit die Marktkonzentration in beiden Bereichen vorangeschritten ist. Heute werden 60 % des weltweiten Saatguthandels von nur noch drei multinationalen Konzernen beherrscht. Dadurch steht die Souveränität der Landwirt*innen über ihr Saatgut auf dem Spiel  – und damit die über unsere Nahrungsmittel. Die Monopolisierung beschleunigt außerdem den Rückgang der genetischen Vielfalt bei Nutzpflanzen und schmälert so unsere Chancen, unsere Landwirtschaft an kommende Herausforderungen wie den Klimawandel anzupassen.

 

Eine Gemeinschaft der Gemeingüter: Saatgut und Brot neu verknüpfen

Wir von OpenSourceSeeds sind der Überzeugung, dass Saatgut ein Gemeingut bleiben muss, um die Stabilität unserer Anbausysteme zu gewährleisten. Und weil Saatgut und Brot so stark miteinander verknüpft sind, haben wir das Projekt »Ein Brot für freies Saatgut« ins Leben gerufen. Seit dessen Start im November 2019 in Berlin verkauft eine kleine, aber wachsende Zahl von Bäckereien ein Open-Source-Brot. Das Mehl dafür stammt von dem Weizen Convento C, dessen Saatgut durch die Open-Source-Lizenz als Gemeingut freigegeben und geschützt wurde. Im Mittelpunkt des Projekts steht eine Gemeinschaft von Akteur*innen entlang der Wertschöpfungskette, die das Saatgut mit dem Endprodukt Brot verbindet. Züchterinnen, Landwirte, Müller, Bäckerinnen und Verbraucher, die sich an der Aktion »Ein Brot für freies Saatgut« beteiligen, sind Teil einer Commons Community oder Allmendegemeinschaft mit dem Ziel, Saatgut als Gemeingut zu erhalten. Noch steckt diese Gemeinschaft in ihren Anfängen, aber sie bietet einen vielversprechenden Weg hin zu einem neuen Verständnis von Züchtung als einem gemeinwohlorientierten, gemeingüterbasieren Prozess, dessen Finanzierung von der gesamten Gesellschaft getragen wird.


Die Bäckereien aus dem Projekt »Ein Brot für freies Saatgut« verarbeiten bisher den open-source Weizen Convento C

Vielfalt ermöglichen: Crowdfunding eines neuen Open-Source-Roggens

Aktuell plant OpenSourceSeeds als Modellversuch für eine neue Art der Züchtungsfinanzierung eine Crowdfunding-Kampagne, die im Frühjahr 2022 an den Start gehen soll. Das von der Community gesammelte Geld soll direkt an die Züchterin einer neuen open-source Roggen-Sorte gehen. Das Pilotprojekt könnte eine neue Einnahmequelle für Züchtungsbetriebe aufzeigen. Somit könnte es eine lohnende Alternative zu den geringen Einnahmen darstellen, die Züchter*innen aus Sortenschutzgebühren erzielen können, wenn sie geistige Eigentumsrechte geltend machen. Die Entscheidung für eine neue Roggensorte fiel uns leicht: Mehrfach hatten uns Bäckereien aus dem Projekt angesprochen und sich genau diese als Ergänzung zum open-source Weizen gewünscht. Die Crowdfunding-Kampagne soll die Gemeinschaft weiter stärken, die sich um die Herstellung von Open-Source-Brot gebildet hat. Auch neue Landwirtschaftsbetriebe können so für das Projekt gewonnen werden, wenn sie beispielsweise Flächen bewirtschaften, die nicht für Weizen, aber für Roggen geeignet sind.

Getreidezüchtung und Brotherstellung sind in den letzten Jahrzehnten durch die Vereinnahmung von Agrarkonzernen und Massenfertigung zunehmend in eine Sackgasse geraten. Eine von Grund auf neue Verknüpfung von gemeingüterbasierter Züchtung und traditionellem Backhandwerk über solidarische, echte Gemeinschaften sehen wir hier als eine vielversprechende Alternative.

 

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