Community finanziert gemeinsam den ersten open source Roggen

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Unser Crowdfunding für die Roggenpopulation »Baldachin« war erfolgreich! Wie geht es nun weiter? | 14. Juli 2022 | von Bella

Am Ende zitterten wir nochmal: Würde uns womöglich kurz vor dem Ziel die Zeit ausgehen? Während der Crowdfunding-Kampagne hatte es technische Probleme und Personalengpässe in unserem kleinen Team gegeben, und wir hatten nicht so viele Menschen erreichen können wie gehofft. Deshalb war die Erleichterung groß, als wir ein paar Tage vor Ende der Kampagne dann doch die Zielsumme von 30.000 € erreichten und sogar übertrafen [1]. Damit konnten die eingeworbenen Unterstützungen auch tatsächlich ausgezahlt werden. Unser Experiment war erfolgreich gewesen; nicht nur hatten wir die open source Lizenzierung des neuen Roggens ermöglicht. Während der Kampagne war auch die Community für Saatgut als Gemeingut merklich gewachsen. Viele Interessierte hatten sich direkt bei uns gemeldet, mit Fragen oder Ideen für neue Projekte. Was nehmen wir also aus der Kampagne mit?

Foto Computerbildschirm, auf dem die Website der Crowdfunding-Kampage angezeigt wird.
»Ein Roggen, der uns allen gehört«: Unter diesem Titel lief unser erste Crowdfunding-Kampagne von Mai bis Juni 2022 auf der Plattform Startnext. (Foto: Bella Aberle)

 

Erneut den Dialog zu open source für Saatgut anstoßen

Zunächst einmal feiern wir ein gelungenes Experiment, von dem wir Beteiligten aus Stiftungen und Öko-Verbänden, Züchtung, Landwirtschaft und Handel berichten können. Denn neben den Konsument*innen wollen wir natürlich auch diese Gruppen für die Idee von Saatgut als Gemeingut begeistern.

Im Bereich der Öko-Getreidezüchtung ist Sortenschutz oft noch eine Selbstverständlichkeit, auch wenn einige Züchter*innen keine Nachbaugebühren einfordern. Zwar machen die Erlöse aus Sortenschutzgebühren in der ökologischen Pflanzenzüchtung nur einen kleinen Teil der Finanzierung aus. Dennoch zögern viele Züchter*innen, bei einer insgesamt unsicheren finanziellen Lage darauf zu verzichten. Diese Sorge können wir bei OpenSourceSeeds nachvollziehen, weshalb wir schon seit längerem zu zukunftsfähigen Finanzierungsmodellen der Ökozüchtung forschen. Dazu haben Johannes Kotschi et al. 2022 ein Paper mit dem Titel »Financing Organic Plant Breeding—New Economic Models for Seed as a Commons« veröffentlicht, das verschiedene Konzepte vorstellt [2]. Der Knackpunkt: Um wirksam zu werden, erfordern diese Modelle den Aufbau neuer Strukturen, an denen sich möglichst viele Akteur*innen aus relevanten Bereichen beteiligen sollten. Sie alle an einen Tisch zu bekommen und dann gemeinsam praxistaugliche Lösungen zu entwickeln, ist durchaus eine Herausforderung. Hier kann jedes erfolgreiche Projekt dabei helfen, Mitstreiter*innen zu gewinnen.

Erste positive Erfahrungen haben wir mit dem Konzept gemacht, die Wertschöpfungskette zur Züchtungsfinanzierung zu nutzen. Unser Projekt »Ein Brot für freies Saatgut«, das seit 2019 läuft, ist vor diesem Hintergrund entstanden – und zeigt, wie Konsument*innen aktiv die Finanzierung neuer Sorten unterstützen können. Für jedes verkaufte Brot geht ein kleiner Betrag an die ökologische Pflanzenzüchtung [3].

 

Populationen – wie gemacht für die Open Source Strategie

Der Roggen aus der Kampagne soll dieses Projekt rund um Open Source Brot weiter stärken. Wie beim bereits etablierten Open Source Weizen Convento C gehört auch der Roggen zu den sogenannten Populationen, die in der EU seit 2022 für den Saatgutverkehr zugelassen sind. Mit ihrer genetischen Vielfalt bieten sie viel Potenzial für eine ökologische Landwirtschaft, die aktuell auf rasche Umweltveränderungen reagieren muss [4].

Reife Ähren des Roggens »Baldachin«
Als Population ist der neue Roggen genetisch vielfältig, was das Risiko von Ernteausfällen mindert. (Foto: Dottenfelderhof)

Ein weiterer spannender Aspekt: Populationen können nicht mit Sortenschutz belegt werden. Denn durch ihre Vielfältigkeit erfüllen sie die dafür notwendigen Kriterien der Einheitlichkeit sowie Stabilität nicht. Die Sortenschutz-Option fällt für Züchter*innen also automatisch weg, was einen Umstieg auf das Open Source Modell nochmal attraktiver macht. Und während für den EU-Versuchszeitraum nur Populationen weniger Nutzpflanzen zugelassen waren, kann inzwischen fast alles darunterfallen: Neben Getreide auch Gemüse oder auch Zierpflanzen [5]. Wir sind daher sehr gespannt, welche Populationen wir in Zukunft mit der Open Source Saatgut-Lizenz werden schützen können.

 

Und was wird aus dem »Roggen, der uns allen gehört«?

Neben all diesen langfristigen Überlegungen gilt es jetzt erstmal, unseren neuen Roggen gebührend zu feiern. Ein paar Tage nach Ende der Kampagne besprachen wir das gute Ergebnis mit dem Züchterteam vom Dottenfelderhof. Inzwischen haben sie den neuen Roggen fertig gezüchtet, unter dem schönen Namen »Baldachin« beim Bundessortenamt angemeldet und einer open source Lizenzierung stand nichts mehr im Wege. Die Vermehrung ist bereits angelaufen und für die Herbstaussaat 2022 können sie schon Saatgut liefern, in größeren Mengen dann ab 2023.

Luftbild von Versuchsfeldern auf dem Dottenfelderhof
Versuchsfelder auf dem Dottenfelderhof. Hier wurde der neue Roggen gezüchtet. (Foto: Dottenfelderhof)

»Baldachin« ist ab sofort auf unserer Sortenliste zu finden, inklusive Fotos, ausführlicher Beschreibung und Kontaktadresse [6]. Wir sind gespannt, in welche Regionen es den neuen Roggen als erstes verschlägt. Im Vorfeld hatten bereits mehrere Bäckereien aus dem Berliner Raum Interesse angemeldet. Hier sind die Voraussetzungen für einen Anbau in der Region ausgezeichnet, da Roggen gut auf den sandigen Böden Brandenburgs gedeiht. Insbesondere im Bio-Bereich ist das Getreide mit seinen vielen Ballaststoffen und Vitaminen sehr beliebt. Roggen macht nicht nur länger satt, sondern gilt auch als krebsvorbeugend und soll den Cholesterinspiegel senken. Er enthält zudem deutlich weniger Gluten als Weizen [7].

Ein bisschen Geduld müssen Baldachin-Fans aber noch haben: Das erste open-source Roggenbrot wird wohl erst 2023 gebacken. Wer es unbedingt so bald wie möglich probieren will, kann selbst aktiv werden und einen eigenen Ableger des Projekts »Ein Brot für freies Saatgut« in seiner Region organisieren. Wir freuen uns über alle Ideen in diese Richtung und unterstützen nach Kräften alle, die neue Wertschöpfungsketten bei sich vor Ort aufbauen wollen.

Wir nehmen mit: Die viele Arbeit für die Crowdfunding-Kampagne hat sich gelohnt. Neben einem weiteren Mitglied in der Open Source (Pflanzen-)Familie und bald leckerem Roggenbrot haben wir vor allem viele neue Fans der Idee von Saatgut als Gemeingut gewonnen. Diese haben gezeigt, dass sie trotz der unsicheren Zeiten bereit sind, aktiv für ihren Wunsch nach einer zukunftstauglichen und gerechten Landwirtschaft einzustehen – Danke dafür! Eine kleine Erfolgsgeschichte, die uns der Utopie eines freien, ökologischen Saatgutsektors wieder ein Stück näher bringt.

 

Links und Quellen

[1] Mehr zur Kampagne im Blog »Ein Roggen, der uns allen gehört«

[2] Quelle: »Financing Organic Plant Breeding—New Economic Models for Seed as a Commons« (Sustainability, 2022)

[3] Mehr dazu im Blog »Ein Brot für freies Saatgut«

[4] Mehr dazu im Blog »Durchbruch bei der Liberalisierung des Saatgutmarktes – neue Regeln, neue Chancen«

[5] Quelle: Broschüre »Ökologisch heterogenes Material. Neue Vermarktungsregeln für vielfältiges Saatgut« (Seeds 4 All, 2022)

[6] Eintrag in unserer Open Source Liste zum neuen Roggen »Baldachin«

[7] Quelle: Broschüre »Daten und Fakten: Gluten in Getreide und Getreideerzeugnissen.« (Kompetenzzentrum für Ernährung)