Endstation Patent?

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Von Sortenschutz, Patenten und Lobbyismus in der europäischen Saatgut-Züchtung | 20. Februar 2020 | Von Sophie und Lea

Der in Deutschland und Europa üblicherweise genutzte Sortenschutz wird von Vielen als milde Form des Eigentumsrechts und als annehmbares Instrument der Züchtungsfinanzierung gesehen. Doch in kleinen Schritten scheint sich die Schlinge der Einschränkungen durch den Sortenschutz zuzuziehen. Sind Patente auf Saatgut auch in Europa die Endstation? 

 
Aus Saat wird Sorte

Rund 10.000 Jahre ist es her, dass in der Südost Türkei und Ägypten mit der Domestikation von Einkorn begonnen wurde. Einkorn ist ein noch heute kultiviertes Urgetreide und vermutlich Vorläufer von Dinkel und Weizen.  Und genau wie Dinkel und Weizen sind alle unsere Kulturpflanzen das Ergebnis eines Jahrtausende-währenden Selektionsprozesses durch den Menschen. Den größten Teil dieser Zeit haben die landwirtschaftlich-genutzten Sorten niemanden gehört. Die Bäuerinnen und Bauern vermehrten Saatgut für den eigenen Bedarf und tauschten es untereinander.
 

Das Ergebnis eines Jahrtausende-währenden Selektionsprozesses: unser Saatgut.
Das Ergebnis eines Jahrtausende-währenden Selektionsprozesses: unser Saatgut.

 
Neue Sorten zur Intensivierung der Landwirtschaft

Die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende, moderne Pflanzenzüchtung entstand erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die ersten Schritte in der Entwicklung unseres heutigen Saatgutmarktes dienten eher dem Verbraucherschutz als dem Urheberrecht: Durch Saatgutprüfung, Sortenregister und Anbauversuche wollte man sicherstellen, dass Landwirte Saatgut hoher Qualität erhielten. 

Und die modernen Sorten hatten es wirklich in sich: Die Pflanzen lieferten mehr Ertrag und waren weniger anfällig für Krankheiten. Damit hat die Züchtung vermutlich sogar mehr zur Intensivierung der Landwirtschaft beitragen als chemischer Pflanzenschutz und Mineraldünger. Doch Intensivierung ist dabei nicht unbedingt negativ zu sehen, denn abgesehen von den beiden Weltkriegen hat sich die Ernährungssicherheit seitdem stetig verbessert.

 
Eigentumsrechte zur Finanzierung von neuen Sorten

Auch in Europa sind geistige Eigentumsrechte das gängige Instrument der Finanzierung von neuen Sorten. Generell dienen Eigentumsrechte dazu, Innovationen von Unternehmen oder Einzelpersonen zu belohnen und abzusichern. Dem liegt die erstmal nachvollziehbare Annahme zu Grunde, dass ein Unternehmen für seine Investitionen in eine Erfindung entlohnt werden muss. Es wird also zugesichert, dass das Unternehmen zumindest eine Zeitlang die ausschließlichen Nutzungsrechte an dieser Erfindung genießt, um die vorherigen Ausgaben wieder reinzuholen. Diese Sicherheit soll es umgekehrt attraktiv machen, überhaupt in Innovationen zu investieren. 

Und die moderne Pflanzenzüchtung hat einen hohen Investitionsbedarf: Heute kann die Entwicklung einer marktreifen Sorte bis zu 1 Million EUR kosten und etwa 10 Jahre dauern. Ein hoher Aufwand für ein Produkt, das im Grunde nur ein einziges Mal gekauft werden müsste, da es sich dann von Natur aus selbst vermehrt. Obendrein muss die Züchtung noch besonders erfinderisch sein:  Denn anders als das Rad, dass nur einmal erfunden werden musste, brauchen wir fortlaufend neue Sorten. Tritt beispielweise eine neue Pflanzen-Krankheit auf, kann eine ehemals gute Sorte plötzlich wertlos sein.

Vor diesem Hintergrund bekamen also auch die deutschen Pflanzenzüchter*innen, genau wie Künstler oder Tüftler, 1953 ihr persönliches geistiges Eigentumsrecht verliehen: den Sortenschutz. Dieser erlaubt Züchtern*innen für 20 bis 30 Jahre Lizenzgebühren für eine geschützte Sorte zu erheben. Ein Teil des Erlöses aus den Saatgutverkäufen geht also zurück an die Züchter*innen und finanziert so ihre Arbeit.  

Um den Fortschritt der Züchtung als Ganzes zu gewährleisten, gibt es das sogenannte Züchter-Privileg. Es erlaubt anderen Züchter*innen auch an geschützten Sorten weiter zu züchten. Wird daraus eine neue Sorte, kann diese ihrerseits für den Sortenschutz angemeldet werden.
 

Als Saatgut wird Geld.
Kann man Saatgut zu Geld machen? Eigentumsrechte ebneten den Weg für das Geschäft um Saatgut.

 
Sortenschutz als Sprungbrett zu weiteren Einschränkungen

Klingt eigentlich nach einem guten System: Die Züchter*innen werden entlohnt, gleichzeitig sind andere Züchter*innen in ihrer Arbeit nicht eingeschränkt. Wir als Gesellschaft können uns darauf verlassen, dass immer etwas auf unseren Teller liegt. Leider ist die Realität nicht ganz so rosig und der Status quo fragiler als wir denken. 

Eine Nutzergruppe wurde bereits massiv in ihren Rechten beschnitten: Lange war es selbstverständlich, dass Landwirte einen Teil ihrer Ernte aufbehalten dürfen, um ihn im nächsten Jahr als Saatgut wieder auszusäen. Das sogenannte Landwirte-Privileg rechtfertigte sich aus der langen Geschichte der Landwirtschaft, in der Bäuerinnen und Bauern autonom über ihr Saatgut bestimmten, es verbesserten und erhielten. Damit lieferten sie nebenbei und unentgeltlich den Grundstock an Kulturpflanzen, derer sich die Pflanzenzüchtung heute bedient. 

Seit 1991 ist dieses Privileg jedoch eingeschränkt worden: Der Nachbau von Saatgut ist für Landwirte nur noch ausnahmsweise erlaubt, nicht bei allen Sorten und nur dann, wenn die wirtschaftlichen Interessen des Züchters durch Nachbaugebühren berücksichtigt werden. In der Praxis bedeutet das: Für geschützte Sorten werden gesetzlich festgelegte Nachbaugebühren fällig, die ein großer Anteil der Landwirte auch bezahlt.
 

Den Grundstock an Kulturpflanzen lieferten Bäuerinnen und Bauern.
Dürfen sie in ihren Rechten am Saatgut beschnitten werden?

 
Sortenschutz, Patente und die Rolle der Lobby

Sortenschutz wird von Vielen als relative milde Form des Eigentumsrechts gesehen. Aber was ist, wenn der Sortenschutz immer mehr ausgehöhlt und schlussendlich durch Patente ersetzt wird? In Europa können wir uns zurzeit noch über eine breite gesellschaftliche Allianz gegen Patente auf Lebewesen freuen. Auch das Europarecht erlaubt diese Patente eigentlich nicht.  Eigentlich – denn trotzdem erteilt das Europäische Patentamt immer wieder Patente auf Lebewesen. Im Jahr 2017 waren es 25 Patente auf Pflanzen wie Tomaten, Gurken und Zwiebeln. 

Genauso problematisch ist die Tatsache, dass sich mit dem Internationalen Verband für Pflanzenzüchtungen (UPOV) eine einflussreiche Lobby-Organisation für den Schutz geistiger Eigentumsrechte an Pflanzensorten einsetzt. Dazu erarbeitete sie in den 60ern eine Konvention, welche Rechte genau die Züchter*innen an „ihren“ Pflanzensorten haben sollen. Deutschland gehörte mit den Niederlanden und England zu den ersten Staaten, die die Konvention 1968 anerkannten. Seitdem wurde die Konvention dreimal überarbeitet. In ihrer letzten Version von 1992 gestattet sie erstmals den zweifachen Schutz mit Patent und Sortenschutz. 

Gleichzeitig besagte sie, dass neue Sorten, die aus einer geschützten Sorte „im Wesentlichen abgeleitet“ sind, nur mit der Erlaubnis der Ursprungszüchter auf den Markt gebracht werden dürfen. Die Bezeichnung „im Wesentlichen abgeleitet“ wurde dabei nicht genauer definiert.  Diese Änderung ist als Einschränkung des Züchter-Privilegs zu sehen und brachte dem Sortenschutz den Spitznamen „kleines Patent“ ein.

Die Veränderungen sind sehr subtil, aber doch geht die UPOV dahin, immer stärkere exklusive Eigentumsrechte für Pflanzensorten einzufordern. Ein Trend, der eventuell beim Patent endet?

Das wäre der Untergang für eine Branche, die darauf fußt, dass alle Wettbewerber freien Zugang zu unseren Pflanzensorten haben. Denn Patente unterscheiden sich massiv vom Sortenschutz, den wir zurzeit in Deutschland haben: Für jede Sorteneigenschaft, für jedes Gen, hat der Patentinhaber das alleinige Nutzungsrecht. Der Züchtervorbehalt existiert nicht mehr.  Sie können frei entscheiden, zu welchem Preis sie ihren Konkurrenten die Nutzung erlauben oder ob sie die Nutzung überhaupt erlauben wollen.  Ähnelt eine Sorte einer Patentsorte zu stark oder kommt ein Patent-Gen zufällig in einer anderen Sorte vor, wäre der Zugang zu diesem Material vermutlich auch versperrt. 
 

Tomaten-Vielfalt
Wir brauchen Sortenvielfalt! Leider fördern Eigentumsreche auf Saatgut das Gegenteil.
 

Zu Lasten von Landwirt*innen und Sortenvielfalt

Mit der Einführung und Verschärfung der Eigentumsrechte wurde der freie Zugang zu Saatgut immer weiter eingeschränkt. Das geht nicht nur zu Lasten kleiner Saatgutunternehmen und Landwirt*innen, sondern schlussendlich auf Kosten der Vielfalt unserer Landwirtschaft: Denn Eigentumsrechte zur Finanzierung von Pflanzenzüchtung sind dann lukrativ, wenn eine Sorte großflächig angebaut wird. 

Wer Vielfalt kultivieren möchte, muss unter prekären Bedingungen arbeiten, da es an einer geeigneten Finanzierung fehlt. Das betrifft insbesondere Züchterinnen und Züchter aus dem Öko-Landbau. Um Vielfalt und freien Zugang zu Saatgut zu fördern, ist es also dringend an der Zeit, über Alternativen der Finanzierung nachzudenken. Dazu in Kürze mehr.